Dez. 06, 2022

Der große RWH Adventskalender 2022
Türchen 6 - Ein Leben für die Haie

Eingepackt in einen silbernen Kettenanzug steht Cristina Zenato erneut aufrecht auf dem weißen Sandboden des Atlantiks. Unweit vor der Küste von Grand Bahama begrüßt die Italienerin „ihre Babys“. Um sie herum zieht ein Dutzend Karibischer Riffhaie seine Bahnen. Die Tiere schwirren um sie herum wie ein Rudel aufgeregter Hunde.


Aus einem schwarzen Tubus füttert Cristina die Haie mit Fischen. Jedes Mal, wenn eines der Tiere sich einen Leckerbissen schnappt, streichelt sie ihm über den Kopf. Die Vertrautheit zwischen Mensch und Tier ist offensichtlich. Es ist nicht nur das Futter, das die Haie zu Cristina zieht. Die eleganten Raubfische kennen die blonde Taucherin gut: Sie kennen ihre Bewegungen, wissen, wie sie atmet. Als Cristina irgendwann den Tubus zur Seite legt und sich in den weichen Sand kniet, dauert es nicht lange, bis einer ihrer Lieblinge auf ihrem Schoss liegt, um sich ein paar Streicheleinheiten abzuholen. Ganz ohne Zwang gelingt es ihr, die Haie in einen so entspannten Zustand zu versetzen, dass sie sich sogar Angelhaken aus ihrem Maul entfernen lassen.


In einem Interview verrät sie, wie diese Tier-Mensch Beziehung zu Stande gekommen ist und wie es funktionieren kann:


Du bist die erste Frau überhaupt, der es gelang, Haie in „Tonische Immobilität“ zu versetzen. Wie hast du das gelernt?

Ich fing an, diese Fähigkeit unter Anleitung meines Mentors Ben Rose zu trainieren. Er war der Erste, der herausfand, dass Haie gerne berührt werden. Genau genommen mache ich gar keine Tonische Immobilität, kurz TI. TI ist eine natürliche Reaktion der Tiere auf eine Bedrohung oder Stress. Das Verhalten wurde auch bei der Paarung beobachtet. Früher wurden Haie damit in eine Starre versetzt, um sie mit Sendern auszustatten. Ich mache etwas anderes: Ich stelle eine Verbindung zu den Tieren her, sie werden zu nichts gezwungen und ich versetze sie nicht in Trance. Meine Interaktion verläuft ohne Zwang. Die Haie sind oft über zwei Meter lang, und man bräuchte sehr viel Kraft, um sie in TI zu zwingen. Ich habe mir mit den Haien eine Beziehung aufgebaut. Zwischen uns gibt es keine Bedrohung, keinen Stress, sondern nur sanfte Berührungen. Ich streichle ihren Kopf und ihren Körper und ihnen scheint das zu gefallen. Manchmal kommen die Haie zu mir und ruhen sich auf meinem Bein aus. Sie bleiben dann ein paar Minuten, manchmal sogar 40 oder 45 Minuten bei mir liegen. Sie pumpen dabei Wasser durch ihre Kiemen und können so weiteratmen, aber sie bleiben ganz ruhig auf meinem Schoß liegen und ich kann sie streicheln.


Hat es lange gedauert, dieses Vertrauen aufzubauen?

Ich arbeite schon sehr lange und sehr konsequent mit den Tieren und ich bin meinen Tauchplätzen treu. Jeden Tag bin ich mehrere Stunden präsent und interagiere mit den Haien. Unsere Beziehung beruht darauf, dass ich die gleiche Routine immer wiederhole.


Erkennen dich die Haie wieder?

Meine Crew ist überzeugt, dass sie es tun. Aber erkennen sie mich, wenn sie mich sehen? Oder ist es eine Mischung daraus, wie ich mich bewege, wie ich mich verhalte und wie ich atme? Vermutlich eine Mischung aus allem.


Man sagt von dir, dass du „Hai“ sprichst. Wie gut verstehst du die großen Fische wirklich?

Ich verstehe meine Haie sehr gut. Aber ich verstehe auch andere Haie. Wie andere Tiere auch kommunizieren sie auf ihre ganz eigene Art, man muss nur genau zuhören und sie beobachten, um sie zu verstehen. An der Art wie sie schwimmen und sich mir nähern erkenne ich, ob sie unruhig sind. Ob vielleicht jemand in der Nähe fischen war und sie das aufgeregt hat. Ich erkenne, wenn sie Schmerzen haben und wenn es ihnen gut geht. Wenn sie entspannt sind oder unruhig.


Ist es richtig, dass sich die Haie von dir sogar ins Maul fassen lassen – ohne zuzuschnappen?

Immer wenn ich einen Hai mit einem Angelhaken sehe, versuche ich, ihn davon zu befreien. Das sind ganz besondere Momente für mich. Oft bemerke ich dabei, dass immer mehr Haie auftauchen, sobald ich dabei bin, einem Tier einen Haken zu entfernen. Ich bin überzeugt, dass die Tiere untereinander kommunizieren und sich gegenseitig Bescheid sagen, wenn die „Zahnärztin“ mal wieder da ist.


Hast du je eine gefährliche Situationen mit Haien erlebt oder beobachtet?

Ganz ehrlich? Niemals!


Welches Fehlverhalten zeigen Taucher, die mit dir ins Wasser gehen?

Dass sie nicht richtig zuhören und sich nicht zu Herzen nehmen, was ihnen vorher gesagt wurde. Sobald die Taucher im Wasser sind, ist alles wie ausgelöscht. Niedlich finde ich immer wieder, wenn ich den Tauchern sage, dass sie die Tiere nicht anfassen sollen. Aber sobald die Haie dann dicht an ihnen vorbeischwimmen, wollen sie nichts anders, als sie anzufassen.


Warum ist die Arbeit mit den Haien so wichtig?

Haie spielen eine wichtige Rolle innerhalb des Ökosystems. Sie vernichten die Toten, Schwachen und Kranken. Unglücklicherweise haben sie zu Unrecht einen schlechten Ruf. Es ist schwieriger, den Leuten klarzumachen, dass große Fleischfresser wie sie Schutz brauchen. Also habe ich beschlossen, über die Tiere aufzuklären. Ich versuche zu zeigen, wie Haie wirklich sind. Verglichen mit anderen Raubtieren, wie zum Beispiel Löwen, sind sie uns Menschen gegenüber sehr tolerant und es ist sehr viel sicherer in ihrer Gegenwart.


Du engagierst dich auch außerhalb des Wassers für den Schutz der Tiere. Stimmt es, dass du ein Nachwuchsprogramm finanzierst?


Vor etwa 20 Jahren habe ich ein Schulprojekt an einer Schule auf Grand Bahama ins Leben gerufen. Die Schüler können während ihrer Schulzeit umsonst den OWD-, AOWD- und den Rescue-Diver-Tauchschein absolvieren. Wenn die Kinder ihren Abschluss machen, können sie bei uns im Tauchladen arbeiten und ihre Ausbildung zum Dive Master und Instructor fortsetzen. So können wir die Jugendlichen zu Hai-Botschaftern ausbilden und ihnen beibringen, wie wertvoll der Ozean und die Riffe sind. Ich glaube fest an die Macht des Wissens und an gute Ausbildung.

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